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Tage im Juni - SCHLÄGERTYPEN (5) - Ger by Kranich im Exil

Tage im Juni - SCHLÄGERTYPEN (5) - Ger


TAGE IM JUNI

Schlägertypen

- 5 -


Er schnaufte.

Sein hastiges Atmen verwandelte sich schnell in ein Wimmern. Einige Tränen zwangen sich durch seine Finger und tropften zu Boden. Das Fell seiner Pfoten färbte sich rot.

Arik führte seine Finger zum Maul und leckte die Krallen ab. »Jetzt bist du wirklich dreckig«, sprach er trocken, »Schlag meinen Cousin noch mal und ich trete dir die Fresse zu Brei.«

  »Alle —«, presste Chucks über die Lippen, »lachen über mich.«

  »Kinder sind grausam«, pflichtete ihm Arik bei. »Wenn du willst, dass sie die Schnauze halten, dann prügle dich mit denen. Stattdessen schlägst du meinen Cousin. Weil er ein Schwächling ist. Weil du weißt, dass er sich nicht wehrt.«

Arik hob einen Stock vom Boden auf. »So was kenn ich von euch gut genug.« Wieder leckte er sich über die Zahnlücke. »Sieh' es als vorbeugende Maßnahme.«

Arik zielte auf Chucks' Kopf. Ein lautes Knacken, als das trockene Holz die Stirn des Tigers traf. Chucks strauchelte und blickte erschrocken auf. Sein Gesicht war blutverschmiert und hatte vier tiefe rote Furchen von der Schläfe bis zur Wange. Seine Fellzeichnung war darunter kaum mehr zu erkennen und seine Augen waren von dunklen, feuchten Ringen umgeben.

Ein zweiter Schlag traf ihn mitten im Gesicht. Er sank auf die Knie.

Ein Schlag gegen seine Schläfe. Wieder trockenes Knacken. Er versuchte vor Schmerz zu schreien, aber aus seiner Kehle drang nur ein gequältes Husten. Er spuckte. Mit Blut vermengte Tränen tropften zu Boden.

Der Wald war stumm. Niemand sprach ein Wort. Nur Chucks schnelles, schweres Atmen war zu hören.

Niklas' Mund war trocken. Sein Herz raste. Er zitterte und spürte, wie sich sein Magen aufblähte, als wäre soeben ein Haufen Steine in ihn gestopft worden, die ihn versuchten zu Boden zu reißen.

  »Bitte«, wisperte Chucks. Er hustete. Speichel lief ihm aus dem Maul. »Es — tut mir leid. Bitte.«

Der große Waschbär riss die Augen auf, bis das Weiß hinter seinen Kieseln aufblitzte. »Hör auf zu winseln!«, befahl er und hob den Stock in die Höhe. Ein weiterer Schlag und der Tiger ging vollends zu Boden.

Einer auf seinen Hinterkopf. Noch einer. Noch einer. Das trockene Knacken verwandelte sich in ein feuchtes. Chucks wimmerte nur noch leise.

Niklas war wie versteinert. Alles lief vor ihm ab wie ein Horrorfilm, den er nicht unterbrechen konnte. Und der Film schien rücksichtslos vorgespult zu werden. Sein Kopf war so langsam, dass er nicht einmal den ersten Schlag verarbeitet hatte, als der kleine Tiger bereits mit dem Gesicht voran in Erde und Kiefernnadeln lag.

Die Rückseite seines Kopfes war nass und dunkel. Die goldgelbe Fellfarbe hatte sich mit dem Blut in ein schmutziges Braun verwandelt. Chucks' rechtes Ohr war abgeknickt. Die Oberseite seines Shirts war blutbespritzt. Die Luft roch metallisch.

In Niklas Ohren wiederholte sich das Geräusch des herabschnellenden Stocks. Immer wieder. Er musste sich fast übergeben.

Der junge Waschbär ergriff Ariks Shirt und zog daran. Er sollte endlich aufhören. Niklas Augen schmerzten und waren feucht.

Arik sah kurz zu Niklas herunter. Der kleine Waschbär atmete so angestrengt als wäre er ebenfalls zusammengeschlagen worden. Seine kleinen Augen trafen Ariks Kiesel. Doch dessen Gesicht war ausdruckslos. Wie eine graue Maske. Er ließ seine Schultern kreisen, um sie zu lockern.

Arik blickte auf den Tiger hinab. Dann auf den feuchten Stock und warf ihn zu Boden.

  »Jetzt sind wir auch quitt«, zischte er. Er beugte sich zu Niklas herunter und musterte ihn mit seinem leeren Blick. »Lass sie niemals davonkommen«, riet er ihm. »Denn wenn sie können, machen sie dich fertig. Je leichter sie dich schlagen können, desto fester werden sie's tun. Immer wieder. Es ist wie im Dschungel. Hau den Biestern die Köpfe ein, bevor sie’s mit dir machen können.«

Dann legte er seine Pfote auf Niklas' Schulter und lächelte. Er streichelte ihm durch das Nackenfell und kraulte ihn hinter dem Ohr. Niklas spürte die Krallen auf seiner Haut.

  »Und jetzt hör auf zu flennen!«, befahl Arik und erhob sich. Niklas zwang sich dazu, den Rotz herunterzuschlucken.

Arik nickte zufrieden. Er sah zu den anderen rüber. »Ich hole ein paar Pizzen. Lachs mit Limone? Der alte Bossel schuldet mir noch was.«

Dann zog er sein Shirt zurecht und zog die Kapuze über den Kopf. Sein Gesicht verschwand wieder im Dunkeln.

Niklas stand stocksteif da, als wären seine Schuhe am Boden festgewachsen. Aber er zitterte. Er konnte seine Augen nicht von Chucks nehmen. Um ihn herum war es still. Nur der seichte Wind flüsterte zwischen den Ästen der Kiefern. In der Ferne war eine Grille zu hören. Niemand war in der Nähe. Keine Person hatte mitbekommen, was passiert war. Chucks lag völlig alleine da.

  »Komm!«, forderte ihn Arik auf. »Du sollst nicht den ganzen Tag allein herumlungern.«

Es fiel Niklas unendlich schwer, sich vom Tiger abzuwenden. Als er den anderen folgte, spürte er ein Stechen im Rücken. Als würde Chucks ihm nachstarren und sein Blick sich kläglich zwischen seine Schultern bohren, sie verkrampfen lassen.

  »Was schuldet dir Bossel denn?«, fragte Joas.

  »Das weiß er jetzt noch nicht«, entgegnete Arik und lächelte vergnügt.

Bald schon färbte die Abendsonne die Häuserschluchten orangerot. Die Hitze des Tages ebbte ab und machte einer feuchten Mattheit platz, die sich in die Spalten der Wände legte und den Boden benetzte. Modriger Geruch stieg herauf und die ersten Streuner wurden in die Nacht gelockt.


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© 2017, Kranich im Exil

Editorial consultant: 1Wortmaler

Part of the collection "Weltenzoo"

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Tage im Juni - SCHLÄGERTYPEN (5) - Ger

Kranich im Exil

The raccoon Niklas wants nothing more than to be accepted.
The lynx Jannik is longing for a friend.
The poodle Caspar would love to see the world burn.
And the lion Ayo is looking for good hair spray.



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Literary / Story