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Tage im Juni - SCHLÄGERTYPEN (2) - Ger by Kranich im Exil

Tage im Juni - SCHLÄGERTYPEN (2) - Ger


TAGE IM JUNI

Schlägertypen

- 2 -


Er hastete den bereits leeren Schulhof entlang, die Treppe hinauf, den Flur hinab. Er musste bis zur anderen Seite des Schulgebäudes. Bevor Frau Gruber alle Schüler aufgerufen hatte. Keine bösen Wörter.

Er war schnell. Sprang über Geländer. Flog um Ecken. Eine Hand am Handy suchte er passende Hintergrundmusik. Etwas Schnelles. Etwas Episches.

  »Colliding Moons«. Zu fröhlich. »Tides of Panthalassa«. Zu langsam. »Conquering Earth«. Perfekt.

Dreißig Sekunden bevor die Aliens den Planeten in die Luft jagen. Er musste ihren Kommandanten ausschalten, der sich als Frau Gruber getarnt hat. Zwanzig Sekunden. Die Luke zum Mutterschiff lag rechts. Zehn.

Er schoss um die Ecke. Rammte etwas, rutschte aus und stürzte zu Boden. Die Kopfhörer rutschten ihm von den Ohren. Gerade rechtzeitig, um einen Schrei der Überraschung zu hören. Lautes Scheppern. Dann Lachen. Dazwischen wütendes Fluchen.

Vor Niklas Augen drehte sich alles. Das Mutterschiff schien durch ein Kraftfeld geschützt. Massiv und pelzig.

Er blickte auf, wusste vor Schreck jedoch nicht wohin. Sein Blick flog über mehrere Gestalten, die den Gang blockierten und auf ihn herabstarrten.

Seine Augen blieben an der üppigen Mähne hängen, die in der ganzen Schule als Markenzeichen bekannt war. Der voluminöse Dschungel aus Locken, Strähnen und Haarspray hörte auf nur drei Buchstaben: Ayo. Löwe von Statur, König im Geiste, Gott im Gehabe.

Sein Gefolge bestand wie immer aus dem Geparden Keyon und der Leopardin Subira. Die drei waren für Vieles gut. Nur nicht für viel Gutes.

  »Dein Arsch, ist der offen oder was?«, maulte Keyon und drückte sich an Subira vorbei. Er beugte sich über Niklas, der schon fast Keyons Faust im Gesicht spüren konnte.

Ayo hob die Pfote wie ein Adelsmann, der auf einen Handkuss wartete und winkte sacht ab. Grimmig ließ Keyon von Niklas ab und richtete sich wieder auf. Er musterte den Waschbären aber weiterhin herablassend.

Der Löwe zupfte sich sein kariertes Hemd zurecht. Man konnte erkennen, dass er Stunden benötigte, um die Falten so aussehen zu lassen, als hätte er es nicht gebügelt. Dann zog er gelassen ein kleines Fläschchen aus der Tasche, sprühte etwas Wasser auf seinen Zeigefinger und lies ihn durch die Mähne fahren, um eine Strähne aus dem Gesicht zu streichen. Sein Kopf verharrte in der immer gleichen Position, um sein Haar nicht durch unnötige Bewegungen durcheinander zu bringen. Nur seine goldgelben Augen bewegten sich langsam von Keyon zu Niklas.

  »Ich habe noch nie jemanden gesehen, der es so eilig hatte, in die Schule zu kommen«, sprach er mit endloser Gelassenheit. Als wäre er in einer anderen Welt. Oder auf Drogen.

Ein angestrengtes Grummeln erklang von hinten. Alle drehten sich um und erst jetzt wurde Niklas das volle Ausmaß seines Zusammenstoßes bewusst. An der Wand, kunstvoll mit einem Mülleimer vereint, saß der Tiger Chucks. Um ihn herum befand sich eine Explosion diverser Reste von Verpackungen, Taschentüchern, Zigarettenkippen und unzählige andere Dinge, die aus dem Mülleimer geflogen waren, als er hineinfiel. Sein Shirt hatte sich im Korb verfangen, der nun wie der Panzer einer Schildkröte an seinem Hinterteil klebte. Er ruderte mit den Armen.

Niklas rappelte sich auf und betrachtete den Tiger, der versuchte, sich ungeschickt aus seiner misslichen Lage zu befreien. Nach einigen angestrengten Versuchen schaffte er es endlich, doch sein verfangenes Shirt ließ den Korb nach oben springen und beförderte eine weitere Ladung Unrat auf seinen Rücken. Das Ganze war ihm sichtlich peinlich.

Niklas schluckte. Das hatte er nicht gewollt. Sein Blick sprang nervös zwischen Ayo, Keyon und Subira umher, deren Gesichter zu einem hässlichen Grinsen verzogen waren, während sie Chucks beobachteten. Zähne blitzten.

Der Tiger stand endlich wieder gerade. Er zupfte sich zaghaft Kaugummipapier und Zigarettenstummel aus Klamotten und Haaren. Es war klar, dass er den Dreck so schnell wie möglich loswerden wollte, aber er zwang sich sichtlich, Gelassenheit vorzutäuschen. Als wäre es nicht so schlimm. Als wäre er zu cool, als dass ihm dergleichen etwas ausmachen würde. Doch jeder konnte an seinem verkniffenen Gesicht Scham und Ekel erkennen. Er starrte auf den Boden, während seine gesamte Haltung verkrampfte.

  »Jetzt bist du auch ein Müllmann«, lachte Keyon, »und kannst mit dem Waschbären im Abfall spielen.«

Niklas spürte, wie sich in seinem Bauch alles zusammenzog. Dieses eklige Grinsen der Großkatzen.

Chucks versuchte darüber zu lachen. Er verzog sein Gesicht zu einem Grinsen, das aber eher wie ein unterdrücktes Weinen aussah. Er sah die anderen nicht an und war immer noch damit beschäftigt, Müll von seinem Körper zu pflücken.

Subira sah an ihm herunter: »Außerdem sieht es aus, als hättest du dich angekackt.«

Das angespannte Rosa in Chucks' Ohrläppchen wich einem blassen Grau. Er tastete über seinen Rücken und die Hose. Feucht. Er betrachtete die Hände. Braun. Ein Becher Trinkschokolade, den jemand weggeworfen hatte. Nun jedoch nicht mehr heiß sondern arschkalt.

Ein kurzes Klick-Geräusch. »Für die Pinnwand«, verkündete Keyon mit erhobenem Smartphone.

Chucks' Gesicht wandelte sich augenblicklich erst von verschämt zu angespannt und dann zu verzweifelt. Er protestierte gegen das Foto, doch mit einem Tippen auf den Bildschirm hatte es Keyon bereits versendet.

  »Komm runter«, sprach er. »Das bringt massig Likes. Sieh, schon zweimal geteilt.«

Die Großkatzen lachten. Chucks zog sein eigenes Handy hastig hervor, schaute auf den Bildschirm und sein Gesicht erstarrte in einer Mischung aus Scham und Bestürzung.

Dadurch wurde der Lachanfall der Katzen nur bestärkt. In kürzester Zeit würde er zum Gespött der ganzen Schule werden.

Auch Niklas' Smartphone meldete sich. Verwundert warf er einen Blick darauf und sah dort ebenfalls den müllbedeckten Tiger. Das Foto sah noch schlimmer aus als befürchtet.

  »Mailverteiler der Schule«, meldete Keyon spontan, noch bevor sich Niklas fragen konnte, woher er das Foto bekommen hatte.

  Das ist Mist. Niklas blickte vom Bildschirm auf und starrte sprachlos auf den Tiger vor sich. Chucks tat das gleiche. Ihre Blicke trafen sich. Chucks' Lippen waren verkniffen, seine Augen gerötet.

Wieder vibrierte sein Handy. Er schnaufte und es sah aus, als würden die zornigen Falten auf seiner Stirn jeden Moment platzen.

Dann trat er einen Schritt auf Niklas zu und holte tief Luft.

  »Ich —«, sprach er und bemühte sich um eine kräftige Stimme, »mach dich fertig.« — »Ich mach dich fertig«, wiederholte er. Etwas lauter und bestimmter.

Niklas ließ seinen Kopf zwischen die Schultern sinken. Die Großkatzen blickten auf. Auf Keyons Gesicht war Überraschung zu sehen, die sich sofort zu einem genüsslichen Grinsen weiterentwickelte. Er klopfte Chucks auf die Schulter.

  »Genau. Er hat dich in den Mülleimer gestoßen. Sieh dich an. So was sollte keiner mit dir machen. Du bist ein Tiger. Er ist das Müllgesicht.« Keyons Grinsen wurde mit jedem Wort breiter. Chucks nickte verbissen. »Er hat sich nicht mal bei dir entschuldigt. So ein Opfer. Aber du bist einer von uns. Nicht wahr?«

Chucks' Blick wurde immer bohrender und intensiver. Sein ganzer Körper spannte sich an.

  »Nach der Schule bist du dran —«, er schluckte und atmete tief ein, »Müllgesicht.«

Ayo war damit beschäftigt, sich gedankenversunken seine Tasthaare zurecht zu zupfen. Dann schien ihm plötzlich einzufallen, dass er in der Schule war und er seine Herde zu neuen Jagdgründen führen musste. Kurzum wies er den Weg voran. Die anderen folgten ihm. Subira kicherte noch immer und Keyon war mit seinem Handy beschäftigt.

Chucks starrte Niklas einen Moment lang wortlos an. Dann wandte er sich ebenfalls ab und sprintete den anderen hinterher.

Niklas blickte ihm nach. Der Schultag hatte erst angefangen und war bereits jetzt völliger Müll. Wortwörtlich.




© 2017, Kranich im Exil

Editorial consultant: 1Wortmaler

Part of the collection "Weltenzoo"

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Tage im Juni - SCHLÄGERTYPEN (2) - Ger

Kranich im Exil

The raccoon Niklas wants nothing more than to be accepted.
The lynx Jannik is longing for a friend.
The poodle Caspar would love to see the world burn.
And the lion Ayo is looking for good hair spray.



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Literary / Story